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Beitrag vom 28.07.2004
Eine Frage des Geschlechts
Dr. Angelika Brinkmann
In der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin stellten sich NachwuchswissenschaftlerInnen mit einem Gender Reader vor
Am 12.07.2004 präsentierte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) eine Publikation im Rahmen einer Podiumsdiskussion. Das Buch "Eine Frage des Geschlechts" wurde von einer Gruppe AutorInnen verfasst, die sich auch im Studienkreis "Gender" der FES trifft. Er ist ebenso multidisziplinär (SoziologInnen, PsychologInnen, PolitologInnen u.a.) zusammengesetzt, wie der vorgestellte Sammelband. Behandelt werden so unterschiedlichen Themen wie Arbeit, Finanzen, Gesundheit, Erziehung, Entwicklungszusammenarbeit, Kultur und Medien.Mit der Herausgabe des Gender Readers verbunden ist die Vermutung, dass jüngere WissenschaftlerInnen neuere Sichtweisen und Erkenntnisse beitragen und eine generell andere Perspektive einbringen können. Das Buch ist als Querschnittswerk angelegt und enthält auch Ergebnisse von Männerforschung. Im einzelnen gibt es in dem Reader u.a. einen Beitrag zur Frauengesundheitsforschung der den geschlechtsbezogenen Blickwinkel mit der Unter-, Über- und Fehlversorgung in diesem Bereich behandelt und auf die besondere Problematik von fehlenden Medikamententests und ihrer Auswirkung auf Frauen eingeht. Im Beitrag "Erwerbsarbeit" wurde hervorgehoben, dass das Ende des "Fordismus" Auswirkungen auf die Geschlechterfrage hat, insbesondere auf die Erosion des "Normalarbeitsverhältnisses" und die damit verbundene Geschlechterarbeitsteilung in Familien. Ein weiterer Beitrag beschäftigt sich mit dem Cyberspace als Spielwiese der "Geschlechterkonstruktion". Hier vertritt die Autorin die These, dass der Cyberspace ein "geschlechtsloser" Raum ist, da das reale Geschlecht als orientierungsgebende Kategorie entfällt.
Zu kurz kam in den vorgestellten Beiträgen sowohl eine positive Vision von "Gender" als auch eine explizite Antwort auf die Frage im Einladungstext nach der noch immer existierenden "Geschlechtsblindheit".
Hat sich durch "Gender Mainstreaming" die Position der Frauen verbessert?
Auf die aus dem Publikum gestellt Frage, wieso die Machtverhältnisse sich trotz vielfältiger Frauenförderpolitik so wenig ändern, kam vom Podium lediglich die Antwort, dies sei ein langsamer und schwieriger Prozess. Da hätte sich frau aber ein wenig mehr erhofft.
Die meisten AutorInnen haben ein Hochschulstudium absolviert und hier hätte die Chance bestanden, die "Gender" Frage etwas kritischer unter die Lupe zu nehmen. Seit Jahren gibt es in Stellenausschreibungen für Hochschulangehörige den Zusatz, dass Frauen bei gleicher Qualifikation besonders berücksichtigt und sie deshalb ausdrücklich zur Bewerbung aufgefordert werden. Noch länger gibt es die Auffassung, jede/r, die/der etwas leistet in der Gesellschaft, könne es zu etwas bringen. Trotz dieser guten Absichten und Postulate ist es aber offensichtlich immer noch so, dass es nur einen geringen Anteil von hochdotierten C4 Professorinnen gibt. Woran liegt es also? Die Anzahl der gut ausgebildeten Frauen ist in vielen Bereichen höher als die der Männer, aber der Faktor "Leistung" ist erkennbar nicht das entscheidende Kriterium bei Einstellungen und Berufungen. Es ist häufig die Kultur der überwiegend von Männern geprägten informellen Netzwerke, die die bestehende Geschlechterordnung gegen Zuwächse schützt, da Hintergrundabläufe unsichtbar bleiben. Gleichstellungsbestrebungen werden trotz durchaus positiver Einstellung einiger Männer lautlos abgeschmettert – durch Untätigkeit, durch interessegeleitetes Nichtwahrnehmen.
Frauenpolitik oder Genderpolitik?
Es existiert also ein Gleichstellungsdefizit, das Maßnahmen nach sich ziehen müsste, z.B. in Gestalt von Gesetzen und finanziellen Förderprogrammen. Die rot-grüne Bundesregierung hat aber den früheren Chancengleichheitsbegriff wieder aufgegriffen und an die Stelle des Gleichstellungsbegriffs gesetzt. Mit praktischen Nachteilen für Frauen, wie sich zeigt.
In der Einladung zur Buchvorstellung wurde auch Bezug genommen auf bisherige Erfolge des feministischen Diskurses. Die bestanden u.a. in einer sehr differenzierten und präzisen Definition des Begriffs "Gender". Im Rahmen der Einführung von "Gender Mainstreaming" (GM) wird dieser zunehmend vereinheitlichend besetzt und verwässert ("Mainstreaming"). Bestehende Ungleichheiten, eine etwas andere Geschichte der Frauenbewegung werden dabei ignoriert. Das immer wieder hervorgehobene Ziel dieses Konzepts ist die Herstellung von Gleichheit zwischen den Geschlechtern unter der Beachtung von Differenz. Der Grundsatz von GM bedeutet, dass GM die Gleichstellung von Frauen und Männern durchgängiges Leitprinzip ist und als Querschnittsaufgabe gefördert werden soll. Es ist aber offenbar so, dass trotz der Proklamierung von GM in vielen Bereichen eben dieses in der Realität nicht stattfindet. Wenn aber GM nun soviel umfassender ist, können mit dieser Begründung getrost alte Frauenfördertöpfe gestrichen werden. GM zerfällt also bei genauerem Hinsehen wieder in interessengeleitete Einzelmaßnahmen.
Nach wie vor gibt es keine rechtlich gültige Definition von GM, weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene, die meisten Dokumente und Rechtsquellen setzen aber die rechtliche Geltung voraus. GM ist bisher kein verbindliches Gesetz und damit auch nicht rechtlich einklagbar. Es gibt keinerlei Sanktionsmechanismen, wenn Behörden oder Verwaltungen die neue Handlungsorientierung nicht anwenden. Bereits frühzeitig war absehbar, dass das GM Konzept ein zweischneidiges Schwert ist, so verfügte der heutige Bundeskanzler noch in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident von Niedersachsen die Auflösung des Frauenministeriums mit den Worten, die anderen Ressorts würden dies jetzt mitbearbeiten. Ein weiterer Nachteil war erst kürzlich wieder zu besichtigen: Seit die Mitarbeit im EP Ausschuss für die Rechte der Frau nicht mehr als vollständige Ausschussarbeit gewertet wird (das machen die anderen wohl auch mit?!), sondern auf Freiwilligkeit beruht, kann dort Mitarbeit auch zu Propagandazwecken geschehen, indem ein erklärter Gleichstellungsgegner dort seinen Sitz nimmt. So erklärte der britische EU Parlamentarier Godfrey Bloom, laut Times vom 21.07., dass Frauen hinter dem Kühlschrank nicht ausreichend putzen und dass, je mehr Rechte Frauen hätten, desto mehr dies ein Hindernis für eine Anstellung sei. Das könnte noch als Einzelmeinung durchgehen, aber die eher stille Preisgabe von Strukturen und Projekten ist auf Dauer schwerer verkraftbar. Bei der Verwaltungs- oder Unternehmensmodernisierung sind bereits Frauenstrukturen unter die Räder gekommen. In dem Moment, wo in Brüssel entschieden wird, dass - z.B. aufgrund der EU-Osterweiterung - Gelder für GM umgewidmet werden müssen, werden die Frauenfördertöpfe reduziert, frauenspezifische Projekte erneut marginalisiert.
Strukturkonservative Geschlechtsblindheit
Der GM Ansatz ist kontraproduktiv. Er enthält keine eindeutigen Festlegungen, Quotenregelungen und Auflagen, sondern verlagert die Verantwortung auf die Frauen an der Basis, d.h. in den Betrieben und Verwaltungen, wo der "Genderdiskurs" dann als zeit- und geldaufwändiges Anhängsel betrachtet wird. Die Politik gibt auf allen Ebenen die Verantwortung für die Gleichstellung an die Frauen ab. Letztlich handelt es sich um eine Abwertung von Gleichstellungspolitik. In diesem Sinne wäre es wünschenswert gewesen, wenn die AutorInnen des Sammelbandes die nach wie vor existierende vertikale Dimension gesellschaftlicher Verhältnisse in ihre Arbeit miteinbezogen hätten. Hierzu zählt auch die Frage, wer tatsächlich "wählen", d.h. auswählen kann, welchen beruflichen/gesellschaftlichen Weg sie/er gehen möchte. Familiäre Kontakte und soziale Herkunft stellen einen nicht einzuholenden (Informations-)vorsprung dar, die auf einem enger werdenden Arbeitsmarkt den in diese Schicht hineingeborenen/zugehörigen Frauen zu Gute kommt. Unter den gegenwärtigen strukturkonservativen Bedingungen ist sowohl Geschlechter- als auch Leistungsgerechtigkeit nicht gewährleistet, alle "Modernisierungen" laufen eher auf eine Fortschreibung sozialer und damit auch geschlechtlicher Unterschiede hinaus. Dies könnte ja dann Thema eines weiteren Sammelbandes werden, mit dem Titel "Keine Frage des Geschlechts".
Mehr Informationen im Netz:
http://www.gender-reader.de/inhalt.htm
Eine Frage des Geschlechts
Ein Gender Reader
Herausgegeben von: Bettina Boekle, Michael Ruf
Verlag für Sozialwissenschaften, Berlin, erschienen Juli 2004
ISBN/EAN 3-531-14271-2
29,90 Euro200589951675">